Erst seit man die Geschichte der Stupas kennt, erst seit man weiß, daß sich die Völker in der Vergangenheit bei jeder ihrer Unternehmungen sehr genau Rechenschaft über die natürlichen Zusammenhänge abgelegt haben, kann man mit einiger Sicherheit sagen, worauf die Vorstellungen mit Bezug auf das Rauchen hinausgegangen sind. Es ist aber nicht meine Absicht, die rituellen Vorstellungen in den Vordergrund zu schieben, sondern ich möchte einmal die physiologische Frage der Wirksamkeit des Tabakrauchens auf Grund alter und junger Erfahrungen etwas eingehender prüfen.
Zwischen dem Tabakskollegium preußischer Könige und dem Rat der ältesten Indianer bei Friedensverhandlungen ist kein großer Unterschied, denn wir sehen noch heute, daß schwere Verhandlungen recht häufig von schweren Tabakwolken begleitet sind, und nur die Höflichkeit gegenüber einigen Nichtrauchern hat diese Sitte nicht allgemein werden lassen. Was man zur Erklärung über die Wirkung auf die Nerven gesagt hat, ist immer ungültig geblieben. Man sollte endlich einmal begreifen, daß es bei Verhandlungen durchaus nicht auf die Frage ankommt, wer recht hat, welche Worte gesprochen werden und welche Logik in den Worten liegt, der man sich nicht entziehen könnte. Das Geheimnis von Verhandlungen ist ein ganz andres. Während solcher Sitzungen verbrauchen die Menschen sich gegenseitig und fressen sich in gewissem Grade auf. Sie reizen einander, und wer durch die Reizung unruhig wird, strömt Kräfte aus, deren Verlust ihn sehr erschöpft. Aus Mangel an Kräften wird der klügste Kopf unlogisch, und er wird es nie begreifen, weshalb er sich hat gehenlassen, aber in Wirklichkeit hat ihm ein andrer Mensch, nämlich der Verhandlungsgegner, bestimmte Kräfte völlig ausgesogen. Das gebrauchte aber keine Intelligenz, sondern eine Art von Vitalität, auf deren innere Natur wir später vielleicht kommen werden.

Vorläufig können wir aber schon die Frage beantworten, weshalb die Indianer ihre Friedenspfeifen rauchen. Antwort: Sie wissen ganz genau, daß sie sich durch das Rauchen in einen Zustand versetzen, in dem ein andrer Mensch sie nicht reizen kann, d. h. aber: die Reizstoffe des Gegners erreichen ihn nicht, oder aber dieselben werden in seiner Atmosphäre zerstört: wenn wir also ein drastisches Bild brauchen wollen, können wir sagen, daß wenn ein Mensch den andren reizt, so schickt er zu ihm eine Unzahl Insekten herüber, die ihn stechen, wenn der Gegner aber ein Tabak-raucher ist, so wird er von den Insekten nicht gestochen. Geistige Reizungen haben also mit andren Worten dieselbe subjektive Natur und Konstitution wie gewisse Insekten. Damit haben wir also eine Arbeitshypothese, indem wir annehmen, daß auf Grund der Autogenese unter relativ günstigen Umständen aus bestimmten Stoffen, und zwar Verwesungsstoffen des Körpers heraus, in einer Atmosphäre, die wir gespannt nennen und die wir auch meinetwegen elektrisch geladen nennen können, aus einem Menschen heraus Insek-ten sich entwickeln, die sofort den Gegner angreifen und denselben in eine sinnlose Wut versetzen, wodurch sich auch dessen Gegenspannung entladen kann. Wir haben hier also in einer mikrokosmischen Welt genau denselben Vorgang, wie bei der Entstehung der Mücken im Himbeersaft, deren Geschichte HENSEL zur Grundlage seiner Forschungen machte. Leider hat man ihn ganz übersehen. Mit Bezug auf den Tabak nun können wir zunächst nur feststellen, daß die Widerstandsfähigkeit eines Rauchers erheblich gestärkt ist, das heißt, sein Gegner findet nicht so leicht eine Angriffsmöglichkeit gegen ihn. ( … ) •
Aus: Ernst Fuhrmann. Schriften-Reihe Kulturen der Erde. Material zur Kultur- und Kunstgeschichte aller Völker. Band XXII Tlinkit u. Haida, Folkwang Verlag 1923, Hagen i.W. und Darmstadt