Bockenheim und Liebknecht
Der Bockenheim-Historiker Heinrich Ludwig schrieb über seine Begegnungen mit den Liebknechts in Bockenheim in einem späten Text (aus Jahr 1947):
Das ehemalige Gasthaus Zum Schwan (Kirchplatz 8)
„mit seinem Storchennest war 1889 durch Kauf in die Hände meines brüderlichen Freundes & Schulkameraden Reinhold Opificius, eines Holzhändlers, gekommen, der den bekannten Arbeiterführer Wilhelm Liebknecht alljährlich in der schönen Jahreszeit beherbergte, während sein Bruder Ludwig, Werkführer in der Frankfurter Scheideanstalt, vom berühmten August Bebel Besuch bekam. Was war natürlicher, als dass ich dann immer mit diesen Arbeiterführern, die ich hoch verehrte, ohne Sozialdemokrat zu sein, weil es mich sehr zu Naumanns Partei zog, die schönen Wagenpartien, freilich als Lehrer nur heimlich, im Taunusgebirge mitmachen konnte. […]
Wie ganz anders war der Verkehr mit Liebknecht, dem „Alten“. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie liebenswert er war, mit dem Gemüte eines Kindes. Wie freute er sich, wenn ich von seinem gelehrten Vorfahren, einem Giessener Professor & seinen hinterlassenen Schriften erzählte, und wie gerne berichtete er von seinen Erlebnisssen im badischen Aufstand 1849! Er hat auf meine Veranlassung diese alljährlich im „Neuen Weltkalender“ niedergelegt. Auch grosser Naturfreund war er, der absolut den Speierlingsbaum kennen lernen wollte, der den Äpfelwein (den er gerne trank) veredelt & haltbar macht & sah ihn vier Wochen vor seinem Tode an der Falkensteiner Landstrasse nicht weit von der Königsteiner Strasse, die uns auf die Billtalhöhe führte, wo ausgestiegen wurde & meine Frau & und ich den Alten das schöne Billtal hinunter nach dem uns erwartetenden Fuhrwerk brachten. Nach dem 12. August 1900 erzählte uns dann unser Freund Reinhold, wie die Berliner Arbeiter ihren geliebten Führer zu Grabe brachten; ein Leichenbegängnis, wie es noch kein Grosser vielleicht je gehabt hat. Alles, was Arbeiter war oder mit ihnen fühlte, erwies ihm die letzte Ehre. Sie fühlten, dass ihnen Liebknechts ganzes Herz gehörte. Sprach er in einer Volksversammlung, so war es weit mehr die Person, die den Eindruck hervorbrachte, als seine Worte, die oft zu hoch im Kampf nur ums Recht zu hoch für die Arbeiter waren. Aber diese wussten hier steht ein Mann, der sieben Jahre für sie im Gefängnis zugebracht, der 13 Jahre das harte Brot der Verbannung gegessen hat. Auch seine Frau, eine Offizierstochter, die einst mit dem Tode rang, während er in ungerechter Haft saß, haben wir kennen gelernt & und sind 1899 in gemeinsamer Fahrt am Vorabend von Goethes 150. Geburtstage durch die prachtvoll erleuchteten Strassen Frankfurts gefahren.
Zwei seiner Söhne – einer ist jetzt Professor der Mineralogie geworden, der an der Scheideanstalt hier tätig war – besuchten uns mehrmals in der Wohnung & erfreuten sich, wie auch ihr Vater, am selbstgekelterten Johannisbeerwein, der im Alter wie Malaga schmeckte. Um seinen Sohn, den später ermordeten Sohn Karl, war Liebknecht früher schon wegen dessen stark nach links neigenden Haltung bekümmert.“
Quelle: Ein Ausschnitt aus meinem Leben. Manuskript von Heinrich Ludwig. Ausschnitte sind veröffentlicht in der „Häuserchronik von Alt-Bockenheim“ von Heinrich Ludwig (S. 501 ff.). Anläßlich des 150. Geburtstages von Karl Liebknecht und dem gerade erschienen Buch über Karl Liebknecht, herausgegeben von dem ehemaligen Bockenheimer Klaus Gietinger.